US-Produkthaftung

Ersatzpflichtig aus Produktgefährdungshaftung ist grundsätzlich jeder an dem gewerblichen in Verkehrbringen des Produkts Beteiligte. Hierzu gehören insbesondere Hersteller/Zulieferer, Großhändler, Einzelhändler, Importeure und Endverkäufer. Auf den Geschäftssitz der beteiligten Personen kommt es nicht an; damit können auch in Deutschland ansässige Hersteller oder Zulieferer, die ihre Produkte in die USA liefern, gegebenenfalls vor US-Gerichten verklagt werden.
Da die Produkthaftung nicht nur durch den gewerblichen Verkauf, sondern auch durch ein sonstiges in Verkehrbringen ausgelöst wird, können auch Leasinggeber, Werkunternehmer, Verpächter, Verleiher, Lizenzgeber und Hinterleger ersatzpflichtig sein. Die Haftung tritt unabhängig davon ein, ob der Beklagte selbst die Möglichkeit hatte, auf Fabrikation, Konstruktion, Anweisungen oder Warnungen Einfluss zu nehmen.

Als Folge der insgesamt rigiden Haftung der „Lieferkette“ sind in vielen US-Bundesstaaten Gesetze ergangen, wonach der Hersteller primär haftet und die Haftung des Verkäufers nur subsidiär besteht. Eine solche nachrangige Haftung des Verkäufers bestand in 2007 in den Bundesstaaten Delaware, Idaho, Illinois, Iowa, Kansas, Kentucky, Maryland, Minnesota, Missouri, North Carolina, North Dakota, Tennessee und Washington. Die Ersatzpflicht des Verkäufers ist in diesen Staaten davon abhängig, ob der Hersteller der Gerichtsbarkeit des Gerichts am Wohnsitz des Klägers unterliegt und ob der Hersteller sich nicht in Insolvenz befindet bzw. kurz davor steht. In Georgia, Nebraska  und North Dakota besteht keine verschuldensunabhängige Haftung von Verkäufern, die die Ware nur weiterverkaufen und nicht selbst herstellen.

Ersatzpflichtig ist auch der so genannte Quasi-Hersteller, das heißt, derjenige, der seinen Namen, seine Marke oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt. Einer Haftung steht in der Regel nicht entgegen, dass der schadensursächliche Teil von einem Dritten geliefert wurde.

Vor US-Gerichten wird in der Regel zu aller erst gegen denjenigen, der am leichtesten greifbar ist und bei dem ein Ersatz zusprechendes Urteil am leichtesten vollstreckbar erscheint, Klage erhoben. Unter mehreren Verantwortlichen wird oftmals nicht der deutsche Exporteur zu aller erst verklagt, sondern der amerikanische Großhändler, Einzelhändler, Vertragshändler. Es können jedoch auch alle in Betracht kommenden Akteure von den Klägern gesamtschuldnerisch verklagt werden, also etwa amerikanischer Vertriebshändler, amerikanische Tochter, deutsche Mutter, etc. Dabei sind in den letzten Jahren viele Urteile gegen die deutsche Mutter wegen fehlender Zuständigkeit des Gerichts über die Muttergesellschaft (lack of personal jurisdiction) in der Berufungsinstanz aufgehoben worden.

In mittlerweile 33 US-Bundesstaaten kann ein Beklagter inzwischen nur noch zu einer Schadensersatzsumme, die seinem eigenem Schadensbetrag entspricht, verurteilt werden (proportional liabilty). Der Schädiger haftet dann auch im Außenverhältnis nur anteilig nach seinem Verschuldensgrad oder auch nach seinem Anteil an der Kausalität. Der Prozentsatz der Haftung, der jedem Beklagten, der in den Prozess involviert ist, zuzurechnen ist, wird meist von der Jury bestimmt. Einer der wichtigsten Streitpunkte, der in Produkthaftungsfällen üblicherweise geklärt werden muss, ist damit die Frage des Haftungsanteils (comparative fault) zwischen den einzelnen Beklagten.

In derzeit circa ein Drittel alle US-Bundesstaaten haftet jedoch im Außenverhältnis jeder verurteilte Beteiligte gesamtschuldnerisch in Höhe der vollen Schadenssumme (joint and several liability). Der Kläger kann in diesem Fall den gesamten Schadensersatz von jedem haftenden Beklagten liquidieren, unabhängig von dessen individuellem Verschuldensanteil. Infolge dessen kann der Geschädigte, auch wenn den Hersteller nur eine geringe Haftung triff, von diesem die Bezahlung des kompletten zugesprochenen Schadensersatzes verlangen.

Häufig werden Hersteller, unabhängig von ihrem Schadensbeitrag, primär aus diesem Grunde verklagt („deep pocket manufacturer“). Mehrheitlich haben US-Gerichte auch bei dieser gesamtschuldnerischen Haftung im Innenverhältnis einen anteiligen Schadensausgleich zugelassen (contribution). Die Höhe des anteiligen Ausgleichsanspruchs ist dabei in den einzelnen Bundesstaaten unterschiedlich festgelegt, wobei man zwischen der Haftung nach Köpfen sowie der Haftung nach dem jeweiligen Verschuldensanteil unterscheidet.

Dieser Ausgleichsanspruch besteht allerdings nicht in allen einzelstaatlichen Gesetzgebungen. Auch kann ein gegebenenfalls bestehender Ausgleichsanspruch praktisch wertlos sein, wenn der Gesamtschuldner nicht auffindbar oder insolvent ist oder ihm keine Klageschrift zugestellt werden kann. Aus diesem Grunde empfiehlt sich in diesem Fall innerhalb der „Lieferkette“ die Vereinbarung vertraglicher Freistellungsansprüche.

Anders als bei dem Ausgleichsanspruch zwischen mehreren Schädigern kommt es bei der Freistellung (indemnity)  zu einer vollständigen Schadensüberwälzung. Eine derartige Freistellung kann sowohl kraft Gesetzes als auch kraft vertraglicher Vereinbarung entstehen.

Nach dem Produkthaftungsrecht verschiedener US-Bundesstaaten können Einzelhändler unter bestimmten Voraussetzungen einen Freistellungsanspruch gegen den Hersteller des fehlerhaften Produkts geltend machen. Ebenso kann den Hersteller ein Freistellungsanspruch gegen einen Zulieferer zustehen, wenn dieser das fehlerhafte Teil geliefert hat, und dem Hersteller die Entdeckung des Mangels nicht möglich war.

Die Vereinbarung vertraglicher Freistellungsansprüche ist aus Sicht des Herstellers insbesondere für das Verhältnis zu seinen Zulieferern sinnvoll; die Wirksamkeit einer derartigen Klausel unterliegt dabei einer gerichtlichen Billigkeitsüberprüfung. Erforderlich ist eine in etwa vergleichbare Verhandlungsmacht beider Vertragsparteien. Der Hersteller kann grundsätzlich seine die Haftung begründenden Pflichten delegieren, hingegen ist es dem Hersteller grundsätzlich nicht erlaubt, die Haftung für Montage, Einstellung und Überprüfung von technischen Einrichtungen auf den Händler zu übertragen.



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