US-Strafschadensersatz

[Nachfolgender Aufsatz ist in vollständiger Fassung veröffentlicht in NJOZ 2009, 1762, für NJW-Abonnenten kostenlos abrufbar unter www.beck-online.de.]

Der US-Strafschadensersatz (punitive damages) hat in den letzten Jahren durch verschiedene Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs der USA neue Impulse erhalten. Diese Entscheidungen werden hier besprochen und in die Dogmatik des Strafschadensersatzes eingeordnet.

Auch wenn im deutschen Recht der Strafschadensersatz auf den ersten Blick nicht nur fremd, sondern auch dogmatisch schwer vertretbar erscheint, zeigt die Entwicklung der letzten Jahre zumindest in eine Richtung, die gewisse, nicht konkret messbare Schäden berücksichtigt:

Im Arbeitsrecht bietet das Benachteiligungsverbot in § 15 II AGG als vertragliche Pflichtverletzung die Möglichkeit, Nicht-Vermögensschaden einzufordern und Arbeitnehmer für diskriminierende Behandlung zu entschädigen. Aber auch im Urheberrecht und in der BGH-Rechtsprechung zum Persönlichkeitsrecht lasse sich, so Behr (Chicago-Kent Law Review Vol. 78 [2003], 105 [151ff.]), eine Annäherung des deutschen Rechts an die Rechtsfigur des Strafschadensersatzes erkennen.

Fraglich ist allerdings, ob diese Beispiele den Rahmen des Genugtuungsprinzips verlassen haben oder nicht doch in der klassischen Dogmatik des BGB-Schadensersatzrechts verhaftet sind. Die BGH-Rechtsprechung besagt, dass Strafschadensersatz, soweit er dem Ausgleich immaterieller Schäden dient, mit der deutschen Rechtsordnung vereinbar sein könne. Noch scheint es sich bei den wenigen Bereichen, in denen man eine Sanktionsfunktion unterstellen könnte, um Ausnahmen zu handeln. Das entspricht dem ordre-public-Votum des BGH (BGHZ 118, 312 = NJW 1992, 3100).

Die Überzeichnung, die dem Rechtsinstitut des Strafschadensersatzes auch außerhalb der juristischen Welt des Öfteren widerfährt, ist nicht nur mit den aus deutscher Sicht hohen Schadensersatzsummen zu erklären. Aus Klägersicht dient die Forderung hoher Summen in den USA vor allem taktischen Überlegungen. Meistens ist ein außergerichtlicher Vergleich (der Ausgang von 75% aller geltend gemachten Ansprüche) das eigentliche Ziel oder jedenfalls das wahrscheinlichste Ergebnis der Geltendmachung von Ansprüchen. Die Geltendmachung hoher Summen dient dabei in erster Linie als „Druckmittel“, um Unternehmen aus Angst vor hohen Zahlungen und der oftmals damit verbundenen negativen Berichterstattung zum Abschluss eines Vergleichs zu bewegen.

Fraglich ist, ob der Oberste Gerichtshof nach wiederholt gescheiterten Versuchen, die Praxis des Strafschadensersatzes überprüfen zu lassen, in seiner Entscheidung BMW of North America vs. Gore (517 U.S. 559, 1996) tatsächlich von einer zunehmenden Häufigkeit und steigenden Höhe der Gewährung von Strafschadensersatz ausging. Es scheint wahrscheinlicher, dass die Argumente angeführt wurden, um die (plötzliche) Behandlung dieser Rechtsfigur durch den Obersten Gerichtshof zu begründen.

Die Statthaftigkeit der verfassungsrechtlichen Überprüfung von Entscheidungen hinsichtlich des Strafschadensersatzes ergibt sich aus der möglichen Verletzung des Bewertungsmaßstabs des 14. Zusatzartikels der Verfassung, dem due process, also dem Grundsatz des fairen Verfahrens bzw. der Rechtssicherheit. Die Prüfung, ob diese Klausel im Fall der Verhängung von Strafschadensersatz in den Vorinstanzen verletzt wird, richtet sich seit dem BMW vs. Gore-Urteil des Obersten Gerichtshofs

(1) nach dem Grad der Vorwerfbarkeit des schädigenden Verhaltens,

(2) dem Verhältnis zwischen dem verhängten Strafschadensersatz und dem tatsächlich entstandenen Schaden sowie

(3) der Berücksichtigung vergleichbarer Entscheidungen.

Den Bundesstaaten ist es demnach aus verfassungsrechtlichen Gründen untersagt, einem Beklagten „grossly excessive punishments“ aufzuerlegen. Der Schädiger muss eine Vorstellung von der ihn erwartenden Strafe haben (können). Die drei oben genannten Voraussetzungen sind somit eine Art Verhältnismäßigkeitsprüfung, um die Höhe des Strafschadensersatzes im Rahmen eines fairen Verfahrens (due process) bestimmbar zu machen. Aus diesem Grund überschreite ein Verhältnis von Schadensersatz zu Strafschadensersatz in der Größenordnung 1:500 im konkreten Fall das verfassungsmäßig zulässige Maß. Auf ein bestimmtes Verhältnis wollte sich der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung allerdings nicht festlegen.

In State Farm Mutual Automobile Insurance Company vs. Inez Preece Campbell et al. (538 U.S. 408, 2003) betonte der Gerichtshof, dass das Verhältnis von tatsächlichem Schadensersatz (compensatory damages) zum Strafschadensersatz (punitive damages) grundsätzlich im einstelligen Bereich liegen müsse und scheint damit dieses Verhältnis doch in einen bestimmbaren Rahmen verlegen zu wollen, der erheblich von der bisherigen Praxis abweicht.

In Exxon Shipping Co.vs. Baker (128 U.S. 2605, 2008) hat der Oberste Gerichtshof das Verhältnis des Strafschadensersatz zu den compensatory damages im Seerecht auf 1:1 festgesetzt. Zur besseren Abwägung des Prozessrisikos für deutsche Unternehmen wäre dies eine wichtige Entwicklung auch im Produkthaftungsrecht. Ob sich eine derartige Begrenzung tatsächlich durchsetzen wird, ist derzeit aber noch nicht festzustellen.

Der Artikel beschreibt, dass Strafschadensersatz auch vor der höchstrichterlichen Aktivität nur in Ausnahmefällen zugesprochen wurde. Die Gefahren, die diese Rechtsfigur für deutsche Unternehmen, deren Produkte auf dem US-amerikanischen Markt vertrieben werden, mit sich bringt, lassen sich nunmehr jedoch besser einschätzen.

Bezogen auf die Vollstreckung von Strafschadensersatzurteilen in Deutschland bieten sowohl die Entwicklungen im deutschen Recht als auch die zunehmende Formalisierung im US-amerikanischen Recht Anhaltspunkte für eine mögliche Lockerung der BGH-Rechtsprechung. Auch hier ist das letzte Wort der Gerichte noch nicht gesprochen.

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