US-Vertragspraxis

Die US-Vertragspraxis weicht von der deutschen Vertragspraxis erheblich ab.

An erster Stelle zu nennen ist der Unterschied zwischen den Regelungstechniken. Das kontinentale und deutsche Recht benutzt den abstrahierend-generalisierenden Gesetzesstil. Es verzichtet auf kasuistische Normen. Das common law in England und Amerika hingegen ist einzelfallgeleitetes Fallrecht. Das macht es den Parteien schwer die maßgeblichen Rechtsnormen aufzuspüren oder gar zu kennen.  Zwar gibt es sowohl in den USA als auch in England vertragsrechtliche Gesetze, doch sind dies mehr Kompilationen des richterlichen Fallrechts. Zudem beschränken sie sich auf spezielle Vertragstypen oder Branchen, wie etwa das Verbraucherschutzrecht der US-amerikanischen Consumer Protection Laws, das auf den Bereich der Finanzdienstleistungen begrenzt ist. Es fehlt an einem umfassenden und geschlossenen Regelungssystem mit Rechtssätzen für das gesamte Regelungsprogramm des Vertrages. Insbesondere gibt es keinen Allgemeinen Teil, den der kontinentale Jurist ohne expliziten Verweis in sein Vertragswerk einbeziehen kann. Angloamerikanisches Gesetzes- und Richterrecht hat darüber hinaus keine dem kontinentalen Recht entsprechenden nachgiebigen Vertragsvorschriften oder „typisierte“ Vertragsformen entwickelt, die dort als Reserveordnung einspringen, wo die Parteien selbst säumig waren.

Die angloamerikanischen Vertragspraxis hat gegenüber dem positiven Recht eine relativ autarke Position. Die Vertragspraxis war von Anbeginn an gezwungen, sich aus sich selbst heraus zu entwickeln und aus sich selbst heraus zu leben. Dahinter steht eine Rechtskultur, in der Individualismus und Formalismus stärker ausgeprägt sind als bei uns. Dabei meint Individualismus, dass die Parteien primär auf ihre eigenen Kräfte vertrauen, dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und den Inhalt ihres Vertrages selbst durch umfassende Vereinbarungen vollständig festlegen. Gerade weil aber die Parteien dem Staat und der Obrigkeit, also auch dem Richter nur eine eingeschränkte Rolle bei der Ermittlung des Vertragsinhalts zubilligen wollen, muss das Vertragsrecht formalistisch sein und ex-post-Eingriffe in den Vertrag bei einem späteren Rechtsstreit , etwa im Wege der richterlichen Interpretationen oder der ergänzenden Vertragsauslegung, durch enge Auslegungsgrundsätze minimieren. Diese Isolierung des Vertrages gegen externe Einflüsse macht die angloamerikanische Vertragspraxis äußerst robust und hilft ihr, auch in einer fremden Umgebung und Rechtskultur zu funktionieren. Daher sind derartige „U.S.“-Vertragsmuster auch im internationalen Wirtschaftsleben sehr verbreitet.

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